Der Bruder, nennen wir ihn A, war sauer. Hatte sein verstorbener Vater doch nicht nur eine Eigentumswohnung und ein Wertpapierdepot hinterlassen, sondern auch ein Testament. Und in dem war A nur zu 1/4 als Erbe eingesetzt, seine Schwester hingegen zu 3/4. Jeder die Hälfte, das hätte er als fair empfunden, und die Hälfte wäre nach seinem Wissen auch der gesetzliche Erbteil gewesen. Also nur 1/4 – und zudem musste er sich mit seiner Schwester darüber einigen, was aus der Wohnung wird und aus dem Depot.
A rechnete: Die Wohnung war 250.000.-€ wert, das Depot 70.000.-€. Macht zusammen 320.000.-€. Hieraus 1/4 wären 80.000.- € für ihn, wenn Wohnung und Depot versilbert werden. Gerne würde er die Wohnung schnellstmöglich verkaufen. Seine Schwester wollte damit lieber noch abwarten. Würde also schwierig werden.
A überlegte: Kinder haben doch ein Pflichtteilsrecht! Er recherchierte kurz und stellte fest, dass der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht und ein reiner Zahlungsanspruch ist. Das war schnell gerechnet: Sein gesetzlicher Erbteil wäre 160.000.- € wert. Hiervon wiederum die Hälfte ergibt den Pflichtteil, also 80.000.-€.
A lehnte sich zurück: Er würde das Erbe auschlagen und von seiner dann allein erbenden Schwester den Pflichtteil verlangen. Der war ja nicht weniger wert als sein Erbanteil. Er hätte dann aber 80.000.- in bar. Und die Verwaltung des Nachlasses, die Verwertung der Wohnung und Depots und andere Arbeiten wäre allein Aufgabe seiner Schwester. Er lehnte sich noch etwas weiter zurück, da hat er mal wieder eine gute Idee gehabt……….
Leider ein fataler Fehler, der A 80.000.- € kostet: Kinder haben zwar ein Pflichtteilsrecht – aber nur, wenn sie von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Das war hier nicht der Fall, schließlich war A ja als Erbe im Testament eingesetzt. Wer seine Erbenstellung selbst beseitigt, bekommt dadurch in der Regel keinen Pflichtteilsanspruch! Daher hat A durch die Anfechtung seinen Erbanteil verloren und keinen Pflichtteilsanspruch gewonnen. Im Ergebnis erhält er nichts.
Also: Eine Erbausschlagung führt nicht zu einem Pflichtteilsanspruch. Das ist die Regel. Von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Allerdings nur drei. Von übereilten Ausschlagungen ist daher dringend abzuraten.

